Aspekte der Transitpost

von Joachim Helbig

Unser heutiges Verständnis über Briefpostbeförderung ist von der globalen Einfachheit des Weltpostvereins (seit 1875) geprägt. Der Absender muss (leider wieder) die Gebühren für einen internationalen Brief suchen, ansonsten aber endet jedes Nachdenken am Briefkasten. Man braucht sich um nichts mehr zu kümmern. Bis dahin war es aber ein weiter Weg, denn jedes Land, ja jeder Fürst, legte Wert auf seine eigenständige Post mit eigenen Regeln und Gebühren und wollte an jedem Brief, der sein Gebiet durchquerte verdienen. Allein im Deutschen Reich konkurrierten 17 Postverwaltungen miteinander, so dass die Absender mit kaum nachvollziehbaren Vertragskonstruktionen und Gebührenforderungen konfrontiert waren. Ohne Eigeninitiative und kluge Wahl des Speditionsweges waren erhebliche Nachteile und Verzögerungen zu erwarten.

Wer kann sich heute schon vorstellen, dass der Kirchenstaat seine Inlandsgebühr doch tatsächlich von Rom (caput mundi) aus berechnete, so dass ein Brief von München nach Bologna (Grenzort des Kirchenstaates) mehr kostete als nach Rom. Von einheitlichen Regeln und Methoden war lange Zeit nicht die Rede. So verweigerten einige Postanstalten ( z.B. Österreich) jede Abrechnung mit dem Ausland und ließen nur Briefe zu, die bis zur Landesgrenze bezahlt (Teilfranko) waren. Und wir dürfen nicht von einem harmonischen Miteinander zum Zweck der reibungslosen Dienstleistung für die Postkunden ausgehen, sondern sehen die Staaten oft in erbitterte Konkurrenzkämpfe um lukrative Postverbindungen verstrickt, durch deren Einnahmen sie die inländischen Posteinrichtungen zu finanzieren suchten. Deshalb verdienen Transitbriefe, die auf ihrem Weg zum Empfänger fremde Postgebiete berührten unsere besondere Aufmerksamkeit, weil auf ihnen die Unterschiede und Auseinandersetzungen unter den europäischen Postverwaltungen ihren direkten Niederschlag finden.

Dieser Situation waren die Postkunden jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Sie schalteten Vermittler ein, um gesperrte oder kostspielige Postwege zu umgehen und setzten ihre Interessen konsequent durch, auch und vor allem dann, wenn die Herrschenden das Postgeheimnis nicht achteten.

Während die frühen Transitbriefe nur wenige Abrechnungs­- und Speditionsvermerke trugen, entstand mit dem starken Kommunikationsbedürfnis seit dem Ende des 16. Jahrhunderts auch die Notwendigkeit von Kontrollzeichen zur Rechtfertigung und zum Nachweis der angemessenen Beförderungsleistung. Dazu gehörten Ortsstempel ebenso wie die genaue Vormerkung der Transitgebühren in den verschiedenen Währungen. Vorausbezahlte Beträge über die Grenzen hinweg wurden als Weiterfranko vermerkt.

Die großen Reformen der 1840 er Jahre zielten daher auch auf Vereinfachung und Wegfall der aufwändigen zwischenstaatlichen Gebührenabrechnung. So schlossen sich erstmals Bayern und Österreich 1842 zu einem einheitlichen Postgebiet zusammen mit einfachen und günstigen Gebühren. Zwar muss nicht besonders betont werden, dass dahinter auch politische Absichten standen, die herauszuarbeiten in der Postgeschichte auch nicht schadet. Da mag es lohnend erscheinen, die großen Entwicklungslinien der Postgeschichte mit Briefen darzustellen.

1844 konnte dieser Brief aus dem Kgr. Württemberg nach Berlin bereits vollständig frankiert abgehen, so dass die bezahlten Gebühren hinten stehen. Das Absenderland steht höflich am Ende 2 (kr) der Transit durch Bayern 10 (kr) incl. taxis/sächsische Herzogtümer (pauschal). Für Preußen 23 (kr), die in 6 (Sgr) (blaue Tinte) als Weiterfranko umgerechnet wurden. Da aber die 6 Sgr nur 21 kr ausmachen, korrigierte die blaue Tinte rückseitig die ursprüngliche Rechnung. Ob der Absender diese zuviel bezahlten 2 kr wieder zurückbekam, ist nicht überliefert.

Postgeschichte ist also nicht nur ein kleiner Teilaspekt der großen Geschichte sondern ein Vergrößerungsglas, in dem sich die Kämpfe, Einigungen, Strategien der Beteiligten detailliert betrachten und nachvollziehen lassen. Die Briefe sind unmittelbare Zeitzeugen, mit Anfasserlebnis. Weit davon entfernt, lediglich seltene Schmuckstücke zu sein, dienen die Briefe des internationalen Verkehrs als Dokumente und Argumente im historischen Disput.

Manchem Betrachter mag das zu kompliziert sein, zumal vertiefte Kenntnisse der jeweiligen postalischen und historischen Situation erforderlich sind, um zum Vergnügen der Einsicht und Erkenntnis zu kommen. Aber hier im DASV, mit seinem großen Fundus an Literatur und Experten findet man auch in diesem Bereich Hilfestellung, Anleitung und Anregung.

Der historische Abstand und unsere ganz andere postalische Situation erschweren allerdings einen kurzatmigen Zugang zum Verständnis alter Briefe. Sie wollen verstanden werden und mit den damaligen postalischen Fachbegriffen gelesen werden. Aber das trifft auf jede anspruchsvolle Beschäftigung zu. Dafür ist Langeweile mit Sicherheit ausgeschlossen und der Gesprächsstoff unter Gleichgesinnten wird nicht ausgehen.

Spannend wird die Analyse von Briefen, wenn sich während eines längeren Briefwechsels wesentliche politisch/territoriale bzw. postalische Veränderungen ereignen. Dann werden provisorische Maßnahmen und Umleitungen auf den Tag genau dokumentierbar. Gehen solche Korrespondenzen gar durch mehrere Transitländer, ist ein intensives Studium der Zeitumstände erforderlich. Zwei Briefe aus der Levante nach Frankreich dienen zur Veranschaulichung.

Der erste Brief, aus Kairo kommend, umfasste zwei Schreiben des berühmten Antiquitätenhändlers Dovretti vom September 1809. Aber erst am 8. Januar firmierte der Forwarder (Briefvermittler) Chantedin in Aleppo, der den Brief nach Constantinopel weiterleitete, wo der Forwarder Hubsch & Simoni ihn am 24. März 1810 bei der Internuntiatur auflieferte. Hubsch notierte 20 dec. für seine Bemühungen, denn er musste die 1 Piaster 21 para, die rückseitig in Blei stehen bis zur österreichischen Ausgangsgrenze vorausbezahlen.

Die Post in Wien taxierte 30 kr W.W., die Bayern ersetzte. In Frankreich hatte der Empfänger 5 franc wegen des hohen Gewichtes von 15 gr. (links oben stehend) zu bezahlen. Eine Reihe von Rechnungsvorgängen spielten sich aber nur im Hintergrund ab und waren nur für den versierten Korrespondenten durchschaubar. Die 30 kr W.W. bekam Bayern nämlich nicht von Frankreich ersetzt, weil dafür keine vertragliche Grundlage bestand. Statt dessen erhielt Bayern für Briefe, die aus oder über Österreich ankamen und nach Frankreich gingen einen Paketpreis von 46 kr rheinisch pro 30 gr., entsprechend einem Postvertrag von 1801. Zur Kennzeichnung solcher Briefe wurde der Stempel d´autriche verwendet, der hier ganz oben nur schwach erkennbar ist. Aber warum schrieb man in Wien den Vermerk „Türkey“ auf den Brief? Man ging damit einer Kennzeichnungspflicht aus dem Postvertrag zwischen Bayern und Österreich aus dem Jahr 1809 nach, um die hier angesetzten 30 kr W.W. zu rechtfertigen. Erst ab Mitte Mai 1810 stand in Wien der Stempel „Aus der Türkey“ zur Verfügung, den der folgende Brief aus Smirne nach Lyon vom 2. Juni 1810 zeigt. Wegen des geringeren Gewichtes von 6 gr vermerkte Österreich lediglich 20 kr W.W. für seinen Transit, die Bayern bezahlte, und der Augsburger Stempel für die Paketabrechnung, d´autriche“ ist hier deutlich neben dem Wiener Stempel „Aus der Türkey“ abgeschlagen.

Man muss kein großer Kenner der Materie sein, um zu ahnen, dass ein derart filigraner Stempel keine lange Lebensdauer haben konnte und bald unleserlich wurde.