Postverkehr aus und nach Paris während der Belagerung 1870/71

Von Dr. Christoph Ozdoba

Le siège de Paris, die Belagerung von Paris, war ein schwerer Schlag für die stolze Grande Nation und führte letztlich zum Waffenstillstand vom 26. Januar 1871 und dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges. Die historischen Ereignisse sind allgemein bekannt; nach meiner Erfahrung auch unter Philatelisten weniger bekannt sind die postgeschichtlichen Besonderheiten der Belagerung. Erstmals sehen wir in dieser Zeit eine reguläre „Luftpostbeförderung“, und das gleich in recht großem Stil: Zweieinhalb Millionen Briefe und Karten wurden mittels Ballon aus Paris heraus befördert!

Betrachten wir den Postverkehr einer belagerten Stadt, ist es sinnvoll, die ausgehende und die eingehende Post getrennt zu diskutieren, denn die Methoden, derer man sich bediente, waren naturgemäß sehr verschieden.

Die Abfahrt des Ballons „Armand-Barbès“ am 7. Oktober 1870 – Ölgemälde von Jules Didier und Jacques Guiaud (Vorlage: Musée Carnavalet/Wikipedia)

 

Post aus Paris: Les ballons montés

Mit dem Aufstieg des Ballons „Neptune“ am 23. September 1870 beginnt die Geschichte der Pariser Ballonpost, sie endet – schon nach dem Waffenstillstand – mit der Fahrt des „Général Cambronne“ am 28. Januar 1871. Insgesamt haben 67 Ballons Post, Passagiere, Hunde, Brieftauben, Technik zur Mikrofotografie (s.u.) und Sprengstoff aus Paris herausgebracht. Ihre Fahrten dauerten zwischen 20 Minuten und 15 Stunden, und sie legten dabei zwischen 12 und 1 300 km zurück. Und: Sie schrieben Postgeschichte – die 11 651 kg Briefe und Karten, die von 54 dieser Ballons transportiert wurden, dürfen als die erste reguläre Luftpost der Geschichte bezeichnet werden: Der Postverkehr mit den sog. ballons montés war ganz offiziell durch einen Erlass geregelt.

Die beiden per „ballon monté“ beförderten Briefe enthalten je ein Exemplar der „Dépêche-Ballon“, einer Zeitung, mit der die Bevölkerung außerhalb von Paris über die Vorgänge innerhalb der belagerten Hauptstadt auf dem Laufenden gehalten wurde. Man beachte, dass die Ballon-Briefe trotz der aufwändigen „Luftpost-Beförderung“ zu den ganz normalen Portosätzen befördert wurden, wobei das Gewicht allerdings auf vier Gramm beschränkt war: 10 Centimes waren für eine Postkarte, 20 für einen Inlandsbrief zu entrichten. Ein Detail am Rande: Pacta sunt servanda, und so wurden natürlich auch nach Deutschland adressierte Briefe, die mit einem Ballon befördert wurden, problemlos zugestellt – dass man gegeneinander Krieg führte, setzte ja die Postverträge nicht außer Kraft.

Dépêche-Ballon, Ausgabe Nr. 4

Alle Details zu den einzelnen Ballonaufstiegen – Name des Ballons, des Piloten und allfälliger Passagiere, Volumen der Ballonhülle, Startzeit, Landeort, Dauer der Fahrt, zurückgelegte Strecke – sind bestens dokumentiert; eine umfassende tabellarische Übersicht gab es schon vor 80 Jahren im Yvert-Katalog. Mit der Ballonpost beförderte Briefe sind bei Sammlern, nicht zuletzt als frühe Luftpost-Belege, sehr beliebt. In der deutschen Wikipedia heißt es unter dem Stichwort Pariser Ballonpost „Das Sammelgebiet der Pariser Ballonpost ist eines der beliebtesten und interessantesten, aber auch teuersten der Philatelie“. Das ist vielleicht etwas übertrieben; trotz der großen Zahl von geschätzt zwei bis zweieinhalb Millionen Briefen und Karten, die par ballon monté befördert wurden, sind diese Belege tatsächlich heute nicht sehr zahlreich auf dem Markt und auch deutlich teurer als vergleichbare „normale“ französische In- und Auslandsbriefe aus der Zeit um 1870, aber für (im besten Fall) 200 bis (realistisch) etwa 400 Euro kann man schon ein schönes Stück erwerben. Es gibt teurere Sammelgebiete…

Wirklich teure Spezialitäten und Raritäten gibt es natürlich auch innerhalb des Gebietes Ballonpost: Ein mit dem am 7. Oktober 1870 aufgelassenen Ballon L’Armand Barbes beförderter Brief nach St. Petersburg wurde bei einer Auktion der Firma Cherrystone, New York (Los Nr. 455) im Februar 2011 für 18.000 US Dollar zugeschlagen (Schätzpreis: 12.500 US Dollar). Dieses Stück ist aus zwei Gründen etwas Besonderes: Die seltene Destination in Russland ist wohl der wichtigste Aspekt, aber gerade diese sechste Ballonfahrt hatte auch eine spezielle historische Bedeutung: Der Ballon L’Armand Barbes hatte erstmals zwei Passagiere an Bord, den französischen Innenminister Léon Gambetta und seinen Sekretär Spuller (siehe Abbildung 1). Man ging davon aus, dass Gambetta im unbesetzten Teil Frankreichs mehr für sein Land tun könne, als wenn er im besetzten Paris geblieben wäre, und so entschied man sich für diese durchaus riskante Aktion.

 

Der Vollständigkeit halber sollte noch die Ballonpost von Metz erwähnt werden. Diese markenlosen, federleichten Briefe („leicht wie ein Schmetterling“) sind als papillons de Metz bekannt und noch wesentlich seltener als Belege der Pariser Ballonpost.

Post nach Paris: Brieftauben und Boules de Moulins

Ein nicht lenkbares Luftfahrzeug wie ein Ballon ist dafür geeignet, Personen und Dinge von einem Ort wegzubringen, vor allem, wenn es wirklich ein „heraus, egal wohin“ ist, wenn es den Passagieren also wirklich nur um eine Flucht geht und das Ziel letztlich keine Rolle spielt. Mit einem Ballon nach Paris herein zu kommen, war allerdings nicht möglich. Zwei Methoden ersannen die findigen Pariser, um Nachrichten (keine Personen) von außerhalb in das belagerte Paris zu bringen: Brieftauben und die unter Philatelisten berühmten „Schwimmkugeln“.

Brieftauben waren eine logische und naheliegende Lösung: Aus Paris stammende Tauben wurden mit einem Ballon aus der Stadt gebracht und folgten dann ihrem natürlichen Trieb, in den heimischen Schlag zurückzukehren. Für den Nachrichtentransport kam echte damalige „High-Tech“ zum Einsatz: Botschaften wurden mikroverfilmt und dann am Zielort in speziellen Betrachtern projiziert; die Nachrichten wurden abgeschrieben und dann den Personen zugestellt, an die sie gerichtet waren.

Schwimmkugelbrief „Paris par Moulins“, 20 Centimes blau, Bordeaux-Ausgabe, senkrechtes Paar und 3 Einzelwerte, Punktrautenstempel 2777 von Pamiers und Doppelkreisstempel „PAMIERS 30 DEC 70“

Nicht weniger genial, aber leider im Gegensatz zur Idee mit den Brieftauben ein völliger Fehlschlag, war das Konzept der „Boules de Moulins“. (Im Örtchen Moulins im Departement Allier war das Projekt angesiedelt.) Das von den Herren Vonoven, Robert und Delort erfundene System sah vor, dass oberhalb von Paris am Lauf der Seine Schwimmkugeln mit Nachrichten ins Wasser gebracht wurden. Theoretisch – sehr theoretisch, denn nicht eine erreichte ihr Ziel; die letzte wurde erst in den 1980er Jahren geborgen – war der Auftrieb der Kugeln so exakt austariert, dass sie weder an der Oberfläche schwammen (wo die Deutschen sie sicher abgefangen hätten) noch auf den Boden sanken; in Paris sollten sie dann in speziellen Netzen, die man im Fluss gespannt hatte, aufgefangen werden. Die Erfinder schlossen am 6. Dezember 1870 einen Vertrag mit der Postverwaltung, aus dem sich das hohe Porto für diese Sendungen erklärt: Immerhin 1 Franc betrug der Tarif für einen Standardbrief! Die Postverwaltung behielt davon den normalen Satz von 20 Centimes für sich, 80 Centimes gingen an die drei Erfinder. 40 Centimes waren bei der Aufgabe, weitere 40 Centimes nach Ablieferung des Briefes von der Post an die drei zu bezahlen. Vonoven blieb für diese Regelung in Paris, während Delort und Robert Paris mit dem Ballon Le Denis Papin am 7. Dezember verließen. Wie gesagt: Theoretisch sehr gut, praktisch leider ein Totalausfall.

Schwimmkugel-Briefe kommen nur äußerst selten in den Verkauf und erzielen dann sehr hohe Preise – Ballonpostbriefe sind im Vergleich zu ihnen Massenware. „Das rein zahlenmäßige Verhältnis des aufgefundenen (und noch vorhandenen) Materials zwischen Schwimmkugel- und Ballonpost dürfte vielleicht bei eins zu tausend liegen“ schreibt Günther Heyd (1979).

Hinweis

Dieser Beitrag wurde vom Autor Dr. Christoph Ozdoba in zwei Teilen erstmalig auf seiner Internetseite www.klassische-philatelie.ch veröffentlicht.

Literatur / Quellen:

Yvert & Tellier Catalogue des Timbres-Poste de la France et des Colonies Françaises. Tome I: France, Bureaux Français à l’Étranger. Yvert & Cie., Amiens 1932

Wilhelm Hofinger: Die älteste Luftpost der Welt. Thomas-Verlag, Kempen-Niederrhein 1957

Günther Heyd: Die Ballons von Paris 1870–71. Selbstverlag des Autors, Hamburg 1970

Charles Dollfus und Paul Maincent: La merveilleuse histoire des 66 ballons du siège de Paris sortis du 23 septembre 1870 au 28 janvier 1871. Icare revue de l’aviation française, No. 56 hiver–printemps 1971, S. 67–155

Ernst M. Cohn: Die „Papillons“ von Metz oder Die beiden Ballonposten von Metz. Verlag der Arbeitsgemeinschaft Frankreich e.V. im Bund Deutscher Philatelisten, München 1976

Günther Heyd: Paris par Moulins. Auktionshaus Edgar Mohrmann, Hamburg 1979

Gérard Lhéritier: Collection 1870 – Ballons Montés, Boules de Moulins. Editions Aristophil, Paris 2000

Wikipedia (deutsche und französische Fassung) mit diversen Artikeln, u.a. „Siège de Paris (1870)“, „Pigeons de la guerre de 1870“, „Ballon monté“, „Boule de Moulins“, „Pariser Ballonpost“