Was uns Tax-Vermerke verraten
von Michael Dick
„Woaßt, Bua, d’Franzosen san schlimm, aber no schlimmer san d’Preißen.“ So soll der Großvater mütterlicherseits von Franz-Josef Strauss um 1920 gesagt haben. 54 Jahre zuvor führte der Streit um die Vormacht im Deutschen Bund zu einem Krieg, der Preußens führende Rolle und die Abneigung der Bayern gegen den deutschen Norden begründete. Dennoch wäre vermutlich auch der 1866 amtierende preußische König Wilhelm I. und spätere Deutsche Kaiser einer Bestellung nicht abgeneigt gewesen, wie sie exakt 20 Jahre früher zu Zeiten seines Bruders, Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, aus München bestätigt wurde. Schließlich ging es um nichts Geringeres als eine Lieferung deutschen Kulturgutes – gutes bayerisches Bier für die Königlich(-Preußische) Hofkellerei in Potsdam.
Begleiten Sie uns auf eine Zeitreise ins Jahr 1846: Carl Zeiss eröffnet in Jena seine erste optische Werkstatt. Der deutsche Astronom Johann Gottfried Galle entdeckt den Planeten Neptun. Richard Wagner beginnt mit der Komposition seiner Oper Lohengrin. Ein deutscher Staat ändert die offizielle Schreibweise seines Namens von Baiern in Bayern.
All dies und noch viel mehr ereignete sich im Jahr 1846. Auch der hier gezeigte Brief wurde im April 1846 in München bei der Post aufgegeben. Gerichtet An eine Koenigl. Hofkellerei in Potsdam wird deutlich, dass dies keine alltägliche Postsendung war. Schließlich war Potsdam Residenzstadt der preußischen Könige und in den Gewölben der Hofkellerei lagerten die Getränke, mit denen König Friedrich Wilhelm IV. und seine Gäste in Schloss Sanssouci manchen Abend gemütlich ausklingen ließen.
Aber nun zu dem Brief an sich. Datum und Ort der Briefaufgabe entnimmt man dem Aufgabestempel – MÜNCHEN 1. APR. 1846 VM (für Vormittags). Übrigens war München auch damals schon eine Großstadt mit mehr als 94.000 Einwohnern. Auf den Postämtern war oftmals die Hölle los, mit Gedränge und langen Warteschlangen, da die Münchener schon damals viel zu erzählen bzw. zu schreiben hatten. Und abgesehen vom persönlichen Gespräch blieb da eben nur die Post. Über erlebte Misshelligkeiten echauffierte man sich auch in den lokalen Gazetten, wie heute noch nachzulesen ist. Die Postbeamten hatten jedenfalls alle Hände voll zu tun. Zum Beispiel musste der Brief auch taxiert werden.
Die Post war noch ein ganzes Stückchen davon entfernt, Briefe zu einer festen Gebühr, die vom Absender mittels aufgeklebter Briefmarke bezahlt wurde, entgegenzunehmen und innerhalb ganz Deutschlands zu transportieren. Das scheiterte zum einen daran, dass es hier noch keine Briefmarken gab. In Großbritannien waren diese kleinen Zettelchen 6 Jahre zuvor eingeführt worden und in Bayern würden sie in 3 Jahren (1849) herausgegeben. Zum anderen gab es das politische und postalische Gebilde „Deutschland“ noch nicht! München lag im Königreich Bayern und Potsdam im Königreich Preußen und beide selbständigen Staaten hatten ihre eigene Post. Dann hatten diese beiden Staaten noch nicht mal eine gemeinsame Grenze. Um von München nach Potsdam zu kommen, musste man noch das Königreich Sachsen durchqueren und auch dieser Staat hatte seine eigene Post. Jede Post hatte ihre eigenen Tarife, die das Briefporto nach Entfernung und Gewicht gestaffelt bestimmten. Das machte die Berechnung des Portos für Postler und Kunden nicht einfach.
Aber zunächst traf der Briefschreiber die Entscheidung, wer das Briefporto bezahlen sollte: er selber oder der Empfänger? Ein gesundes Misstrauen gegenüber der Zuverlässigkeit der Post pflegten nicht nur die Münchener, sondern weite Kreise in allen damaligen Ländern. Soll die Post den Brief erst mal ordentlich zustellen und dann das Geld dafür bekommen war eine verbreitete Einstellung. Ob dies auch das Motiv für den Absender dieses Briefes war, ist nicht mehr feststellbar. Jedenfalls unterließ er es einen frei-Vermerk auf dem Brief zu notieren, womit er seine Absicht, den Brief bei Aufgabe zu bezahlen, bekundet hätte. So wurde es ein Porto-Brief, d.h. die Hofkellerei hatte die Gebühren bei Empfang des Briefes entrichten.
So notierte die Münchener Post mit 12 Kreuzern, der damaligen bayerischen Währung, für die Wegstrecke München-Hof. Haben Sie die Taxierung schon gefunden? Für ungeübte Betrachter ist diese Zahl nur schwer zu erkennen.
Das schlangenförmige Gebilde, in schwarzer Tinte, ist eine typische bayerische 12. Die 1 und 2 sind ineinander übergehend in einem Schwung notiert worden – der Postler notierte diese Zahl dutzende Mal jeden Tag und wollte schnell den nächsten Brief bearbeiten. Hier noch mal im Brief markiert.

Die bayerische Notierung der 12 Kreuzer
In Hof war das sogenannte Austauschpostamt für Post nach Sachsen und in die östlichen Gebiete von Preußen. Dort wurden dann die 12 Kreuzer in 3 ½ Silbergroschen, die preußische Währung, umgerechnet. Diesmal verwendete man einen Rötelstift und notierte es direkt über der 12.

Die mit Rötel notierten 3 1/2 Silbergroschen
Die Währungsbezeichnung notierte man nicht, da alle Beteiligten die Taxen und ihre Umrechnungen kannten. Eine Gebühr für Sachsen wurde nicht separat notiert, da man mit diesem Land eine gewichtsabhängige Pauschale vereinbart hatte. Alle Briefe nach Preußen kamen in einen Briefbeutel, dessen Gewicht notiert und so mit der sächsischen Post abgerechnet wurde. Durch einen solchen geschlossenen Transit brauchte sich das Transitgeberland nicht um die einzelnen Briefe kümmern. In Berlin angekommen, wurde der Briefbeutel geöffnet und zur weiteren Bearbeitung und Verteilung sortiert. Damit man mit einem Blick wusste, woher der Brief ursprünglich kam, wurde ein entsprechender Herkunftsstempel abgeschlagen, hier schon in der „modernen“ Schreibweise Bayern.
Bei der weiteren Bearbeitung passierte nun den korrekten preußischen Postbeamten ein Irrtum. Man übersah die schon in Hof notierten 3 ½ Sgr. und notierte diese Zahl noch einmal mit der typischen dunkelroten preußischen Tinte. Dann wurde der Irrtum bemerkt und die Zahl durchgestrichen. Es fehlte aber noch das preußische Porto zur Berechnung des Gesamtportos. Hierfür fielen 4 Sgr. an, die aber nicht separat notiert wurden. Vielleicht meinte der preußische Postler, dass langsam genug Zahlen notiert waren? Stattdessen notierte er das von der Hofkellerei zu zahlende Gesamtporto in großen Ziffern mit 7 ½ Sgr. Dieser Betrag wurde deutlich größer als die anderen Teilbeträge notiert, da er die Gesamtsumme bildete, die zu zahlen war.
Beide Zahlen hier noch mal markiert.
Nun aber noch ein Blick auf den eigentlichen Brief. Der Absender ist schon durch den auf der Briefvorderseite befindlichen Stempel zu erkennen:
Negrioli & Cie. war ein bekanntes Handels- und Speditionshaus in München, der Inhaber zeitweilig auch Bürgerlicher Magistratsrat. Damit gehörte er sicher zu den Honoratioren der Stadt.
In dieser Zeit waren Briefcouverts noch nicht verbreitet, meistens schrieb man auf einen Briefbogen, der dann zusammengefaltet, versiegelt und dann außen mit der Adresse versehen wurde. So auch hier und damit hat man häufig auch den Briefinhalt oder zumindest einen Teil davon. Und hier sieht man den Anlass für das Schreiben. Es handelt sich um eine Spesen-Nota, da Negrioli & Cie. im Auftrag ein Fass bayerisches Bier vom Tegernsee an die Hofkellerei in Potsdam versandte. Vermutlich stammte das Fass vom Königlich braunes Brauhaus in Tegernsee, dass König Maxiliam I. 1817 erworben hatte und das heute noch im Besitz der Wittelsbacher ist.
Und so kommen sich Bayern und Preußen, die sich damals (wie heute) ihrer Unterschiedlichkeit bewusst waren und dies entsprechend gegenseitig gern um die Ohren hauten, bei dem Bedürfnis nach einem guten Durstlöscher dann doch näher.
Wenn schon der preußische König …